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Von Rita Maurer

Dreislar. Im ersten Moment fühlt man sich an Professor Boerne aus dem Münster-Tatort und seine Pathologie erinnert. Wo sonst trifft man auf überdimensionale Schrankwände mit 32 Kühlfächern vor gekachelten Wänden? In Dreislar! Denn hier gibt es seit 56 Jahren die Gefriergemeinschaft.

Ein Stück Dorf, das es woanders längst nicht mehr gibt - region, region-wi-me-ha, medebach
Foto: Rita Maurer

Gefriergemeinschaft – was ist das überhaupt? In der Nachkriegszeit konnte sich kaum jemand einen Kühlschrank leisten. Deshalb wurden viele Lebensmittel noch eingekocht oder gepökelt, um sie haltbar zu machen. Das Einfrieren bot neue Möglichkeiten, war aber für Privatleute finanziell kaum machbar. So entstand die Idee der Gefriergemeinschaften. Ende der 50er Jahre gab es in Deutschland 30000 Kühlschränke in privaten Haushalten und 5500 Gefriergemeinschaften.

Gefrieranlage mit 32 Fächern

Im Januar 1961 gründeten somit auch in Dreislar 33 Einwohner eine solche Gemeinschaft und gaben den Auftrag zum Bau eines Gebäudes für eine Gefrieranlage mit 32 Fächern. 263 Liter fasst ein Fach, etwas mehr als eine handelsübliche Gefriertruhe; 23800 DM kostete die Anlage. Als Ort war eine städtische Parzelle in der Ölfestraße am Ortsausgang Richtung Lichtenfels ausgesucht worden, auf dem noch eine Scheune von Lorenz Brocke (Altenriepen) stand. Er erhielt 200 DM als Entschädigung für den Abriss. Im März unterzeichnete der Bürgermeister Johann Vogt (Eibes) der damals noch eigenständigen Gemeinde Dreislar den Pachtvertrag mit der Gefriergemeinschaft, im Sommer ging sie an den Start. Seitdem sind die Fächer ununterbrochen eiskalt geblieben.

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Martin Ardelt

Die Zeiten änderten sich, die Menschen wurden wohlhabender und Kühlschränke erschwinglicher. Fast alle Gefriergemeinschaften lösten sich auf – bis auf Dreislar. Hier gibt es wohl eine der letzten noch aktiven Gefriergemeinschaften im ganzen Sauerland, meint Martin Ardelt als erster Vorsitzender.

Die Technik der damaligen Zeit war echte Wertarbeit: Das erste Dreislarer Kühlaggregat hat 29 Jahre gehalten, das zweite 27 Jahre. Ende 2016 hat es seinen Geist aufgegeben. Momentan ist ein Ersatzaggregat im Einsatz. Aber nun scheinen die Tage der Dreislarer Gefriergemeinschaft dennoch gezählt. Eine moderne Anlage, die die Energiekosten deutlich senken würde, kostet 3000 Euro, dazu kämen weitere rund 5000 Euro für Renovierungsarbeiten am Gebäude.

Vergebliche Anträge

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Foto: Rita Maurer

Martin Ardelt hat deshalb einen Stapel voller Anträge in seinem Ordner. Bei Leader, IKEK, der Energie-Agentur NRW, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – überall hat er angeklopft und nach Fördermöglichkeiten gefragt – vergeblich. Eine einmalige Umlage, um die anstehenden Kosten zu stemmen, wäre nicht das Problem, die jetzigen Eigentümer sind durchaus bereit dazu. Die Krux liegt eher beim laufenden wirtschaftlichen Betrieb. Momentan sind 26 Fächer vergeben. Sechs werden aber bald frei, neue Anwärter sind nicht in Sicht. Warum ist das so? „Die Mentalität in der Vorratshaltung hat sich verändert. Es ist kaum noch üblich, so wie früher ein Schwein oder ein Rind komplett zu verwerten. Oder im Sommer die Ernte aus einem großen Garten zu verarbeiten. Heutzutage gibt es fast alles jederzeit frisch in kleinen Mengen zu kaufen“, begründet Martin Ardelt.

Ein rentabler Betrieb ist nur möglich, wenn mindestens zwei Drittel der Fächer belegt sind. Für die verbleibenden Fach-Besitzer würde der Beitrag sonst zu teuer. Momentan kostet er 22 Euro im Vierteljahr, nach dem Ausscheiden der Fachbesitzer würde er ansteigen. 15 bis 16 Euro wären dagegen realistisch. Anderes Einspar-Potential gibt es nicht, das ist alles überprüft worden. Die Eigentümer-Versammlung hat deshalb zum 31. Dezember 2017 die Abschaltung beschlossen.

Gefriergemeinschaft – bald also auch ein Relikt aus vergangenen Zeiten – ähnlich wie Schreibmaschine, Wählscheibe oder Telegramm? Martin Ardelt hofft auf eine Lösung: „Die Gefriergemeinschaft ist uns an Herz gewachsen. Sie ist ein Stück Dorf, das es woanders schon längst nicht mehr gibt.“

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