Für drei Jahre und einen Tag…

Zimmermann Jean-Marc ist als Wandergeselle auf der Walz / von Rita Maurer

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Von Rita Maurer (Redaktionsbude)

Siedlinghausen. Schwarze Jacke und Schlaghose, Hut, Stoffbündel und Stock in der einen Hand, den Daumen der anderen im Wind. So steht Jean-Marc an der Straße zwischen Siedlinghausen und Brunskappel. Nachnamen sind für ihn momentan nicht wichtig, denn der 26-Jährige ist als Wandergeselle auf der Walz.

Jean-Marc stammt aus Rotenburg an der Wümme und ist Zimmermann, wie die meisten Wandergesellen – oder „Fremde“, wie sie sich selber bezeichnen. Ungefähr 600 von ihnen sind derzeit unterwegs. Viele von ihnen sind Zimmerer so wie er, aber das Tippeln ist in jedem Handwerk möglich.

Für drei Jahre und einen Tag... - region, region-wi-me-ha

Drei Jahre und einen Tag muss ein Wandergeselle mindestens unterwegs, „auf der Straße“ sein. Bei Jean-Marc sind es nun schon fast schon vier Jahre, mindestens bis zum Sommer hat er noch geplant. Nach Südafrika ist er gekommen, fast alle Länder Westeuropas stehen in seinem Wanderbuch. Über den Winter war er in Portugal, letzte Woche hat er bei der Firma Stöber Dachkonzepte aus Elpe angefangen zu arbeiten. Für Firmen-Chef Maik Stöber Für drei Jahre und einen Tag... - region, region-wi-me-hawar beim ersten Gespräch sofort klar, dass er Jean-Marc beschäftigen würde: „Ich finde es stark, dass junge Menschen heutzutage so was machen und damit Erfahrungen für das ganze Leben sammeln.  Man kennt sich zwar überhaupt nicht, aber das Bauchgefühl passte sofort. Es ist wichtig, dass solche Leute eine Chance bekommen.“

Oft ist Jean-Marc oder Joey, wie ihn seine neuen Kollegen rufen, alleine, teilweise aber auch mit anderen Wandergesellen „gereist“ – so nennt sich die Fortbewegung zu Fuß oder per Anhalter. Zu Hause war er seit dem Start seiner Walz nicht mehr, denn so will es die uralte Regel. Um den Heimatort wird die sogenannte Bannmeile von 50 Kilometern geschlagen, die traditionell nicht übertreten werden darf. Unter 30 Jahre alt müssen Wandergesellen außerdem sein, ledig, schuldenfrei und nicht vorbestraft.  Kein Handy, kein Geld für Unterkunft und Reisen. Bis auf das Handy sind diese Gebote seit dem Mittelalter nahezu unverändert, denn so lange gibt es die Walz schon. Mit Freunden und Familie hält Jean-Marc Kontakt über Postkarten oder Briefe, seine Eltern haben ihn zwischendurch besucht. Seine Habseligkeiten passen in ein zusammengeknotetes Tuch, seinen Für drei Jahre und einen Tag... - region, region-wi-me-haCharlottenburger oder kurz „Charlie“. Auf diesem ist kunstvoll ein Motiv seiner Gesellenvereinigung, des „Freien Begegnungsschachtes“ aufgezeichnet. So reduziert sein Gepäck auch ist, sein „Stenz“, der für die Walz typische gedrehte Wanderstock, ist immer dabei.

Manchmal schläft Jean-Marc draußen, in Scheunen oder Pfarrhäusern, aber meistens ist es kein Problem, ein Bett zu finden. Auch das Fortkommen per Anhalter klappt fast immer. Es liegt wohl an der Kluft, der traditionellen Kleidung, die die Wandergesellen je nach ihrem Handwerk kennzeichnet und die wortwörtlich für den „ehrbaren Handwerker“ steht. Denn auch das ist ein Gesetz der Straße: Immer anständig, eben „ehrbar“ reisen, so dass nachfolgende Wandergesellen ebenfalls gerne aufgenommen werden. „Ehrbarkeit“ ist daher auch der Name seines gehäkelten grauen Schlipses auf seinem Hemd, der „Staude“. Und auch sonst ist nichts zufällig an seiner schwarzen Kluft: sechs Perlmutt-Knöpfe an der Jacke für sechs Arbeitstage, acht Westen-Knöpfe für acht Stunden täglich, die derbe Arbeits-Hose mit weitem Schlag.

Was motiviert einen jungen Mann, über eine so lange Zeit auf sein gewohntes Umfeld und moderne Bequemlichkeiten zu verzichten? Auf die Frage hat Jean-Marc sofort die Antwort: „Reisen bildet! Man lernt viel über das eigene und andere Handwerke, über verschiedene Betriebe und auch über die Menschen und Lebensweisen, mit denen allen man im Normalfall nie in Kontakt käme.“  Und über sich selbst, denn fast jeden Tag stellt sich die existentielle Frage „wo schlafe ich, was esse ich“.

Am 20. Mai will Jean-Marc in Minden sein, das hat er vor Monaten mit einem anderen Wandergesellen so abgemacht, den er seitdem nicht mehr gesehen oder gesprochen hat. Aber das Wort und ein Handschlag zählen. Von Minden machen die beiden sich dann auf den Weg nach Irland. Denn eine alte Weisheit auf der Walz lautet: „Wenn der Postbote Deinen Namen kennt und Nachbars Hund nicht mehr bellt – dann wird es Zeit, weiterzuziehen.“

  • Die Kluft der Holzberufe ist schwarz. Maurer tragen grau, Steinmetze sandfarben, Handwerker in Metallberufen blau.
  • Eine traditionelle Kluft besteht aus Hose mit schwarzem Gürtel und Koppelschloss, Weste, Jackett, Hut  mit Krempe, schwarzen Schuhen und Staude ( ein kragenloses, weißes Hemd) und der „Ehrbarkeit“, einem Schlips in der Farbe der Gesellenvereinigung.
  • Vollständig wird die Kluft mit dem Stenz, einer Taschenuhr und dem Charlottenburger.
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