Mystisch, archaisch und unglaublich laut –
Die Hallenberger Osternacht soll Immaterielles Weltkulturerbe werden
Warum die Osternacht am ganz späten Karsamstagabend absolut einen Besuch wert ist:
23.45 Uhr – Rundherum aus den Straßen ziehen Leute in Richtung Pfarrkirche. Um den Marktplatz hat sich bereits eine riesige Menschenmenge versammelt, darunter viele Jungen und Männer, die ungewöhnliche Gerätschaften bei sich haben: drei hohe Kreuze, dicht mit roten Papier-Lampions behängte Holzgestelle, große Holzkästen auf Stielen, selbstgebaute Handwagen mit aufmontierten Sägeblättern, Gasflaschen oder alten, handbetriebenen Feuersirenen oder dicke Masten, auf denen ein großes Sägeblatt angebracht ist.
23.55 Uhr – In der Altstadt gehen unter dem Raunen der vielen Menschen sämtliche Lichter in allen Straßen und Häusern aus, die sowieso schon mystische Stimmung wird immer gespannter. Es ist stockdunkel, nur der Vollmond leuchtet hinter dem Kirchturm hervor.
00.00 Uhr – Die Kirchenglocke schlägt viermal die volle Stunde an. Es folgen zwölf dumpfe, tiefe Schläge, die jeder für sich still mitzählt. Wenn der letzte Schlag verstummt, singen die Hallenberger Männer fünf Strophen des uralten Passionsliedes „Ihr Sünder kommt gegangen“, das vermutlich in der Barockzeit (ca. 1600 – 1750 n.Chr.) entstanden ist. Ab der vierten Strophe kommt Bewegung auf: Die drei großen Kreuze und die Fackelbäume werden rot erleuchtet und setzen sich mit den Fackeln langsam an die Spitze des Zuges. Die ominösen Holzkästen werden geschultert, Eisenhämmer knapp über die Sägeblätter gehalten, die Sirenenräder vorsichtig angedreht – und beim letzten Ton der fünften Strophe bricht ein unfassbarer Lärm los: Die vielen Holzkästen erweisen sich als riesige Rasseln, die an Stielen gedreht werden, während dazu eine alte Landknechtstrommel geschlagen wird. Hört diese auf, setzt ein Nachtwächterhorn ein, die Rasseln haben Pause, dafür werden die Sirenen zum Heulen gebracht und mit Hämmern auf die Sägeblätter und Gasflaschen eingedroschen, dass die Funken nur so stieben. Der lange Zug geht rund anderthalb Stunden an den historischen Stadtgrenzen entlang und umrundet unterwegs drei Mal die Kirche. Es gilt dabei als Ehrenkodex, dass alle Lärminstrumente rein mit Körperkraft betrieben werden – die Anstrengung ist allen Beteiligten deutlich anzumerken.
01.30 Uhr – die Kreuze, Lampionbäume und Rasseln gruppieren sich mit der Burschentrommel rund um den Kump-Brunnen, die Handwagen an der Kirchenmauer, alle Beteiligten lärmen ein letztes Mal aus Leibeskräften, dann wird es still. Nach einer kurzen Verschnaufpause leert sich der Marktplatz, die Gruppen bringen ihre Wagen und Geräte nach Hause. Manche versammeln sich da, andere ziehen weiter in die Kneipen, die Jugend in die Schützenhalle. Kreuze als bekanntes Symbol Neben dem ohrenbetäubenden Krach sind die drei großen, rot leuchtenden Kreuze, die hoch über den nächtlichen Umzug hinausragen, as bekannteste Symbol der Hallenberger Osternacht. Es ist immer wieder ein eindrucksvolles Erlebnis, wenn der Zug mit seiner einzigartigen Geräuschkulisse langsam näher kommt, sich die schwankenden Kreuze aus der Dunkelheit herausschälen und ihre Schatten an die Hauswände werfen. Neben Fackeln und den obligatorischen Lampionbäumen sind die Kreuze die einzige Lichtquelle in der ansonsten finsteren Altstadt. Sie werden von festen Familien- oder Freundeskreisen getragen, teilweise schon über 50 Jahre lang. Die Männer wechseln sich beim Tragen ab, was sich besonders bei Wind als echter Kraftakt erweist. Rund 15 Kilogramm wiegt ein solches Kreuz und ist rund zweieinhalb Meter hoch. Der Korpus besteht aus Holz und ist mit rotem Stoff bespannt. Früher war das Innere durch Kerzen angestrahlt. Später wurden batteriebetriebene Birnchen verwendet, mittlerweile erfolgt die Beleuchtung durch LED-Lämpchen. Beim Näherkommen erkennt man die aufgezeichneten Wundmale und das Antlitz des gekreuzigten Jesus. Auf der Rückseite der Kreuze stehen die lateinischen Worte „O crux ave, spes unica“ – „o Kreuz, einzige Hoffnung, sei gegrüßt“.
Organisiert vom Burschenverein Hallenberg
Organisiert wird dieser in Deutschland einmalige Brauch der Osternacht (nicht Krach- oder Rappelnacht, wie oft behauptet!) vom Katholischen Burschenverein Hallenberg. Seit mindestens 1781 soll es die Osternacht geben, seit 1746 den Burschenverein – beides vermutlich sogar noch deutlich länger. So wird z.B. in den Stadtbüchern 1667 die Reparatur „der jungen Gesellen Trom“ erwähnt, der Burschentrommel. Damit ist die Landknechtstrommel gemeint, die im Zug mitgeführt wird. Die in den Stadtbüchern genannte Trommel war weit über 300 Jahre im Einsatz und befindet sich heute gut erhalten im Stadtarchiv. Sie wurde erst 1968 durch das heutige, sehr ähnlich aussehende Exemplar ersetzt. Eine der ersten bildlichen Osternacht-Darstellungen ist ein gut 100 Jahre alter Notgeldschein. Mit 16 Jahren und damit ihrem Eintritt in den Burschenverein dürfen die Hallenberger Jungs bei der Osternacht aktiv mitmachen. Meistens übernehmen sie von älteren Jahrgängen, die wiederum an die großen Rasseln wechseln, einen der Krachwagen mit metallischen Instrumenten und/oder hölzernen Rasselaufbauten, der auf Sauerländer Art mit einer Kiste Bier bei den Vorgängern ausgelöst wird. Manche Gruppen bauen sich auch eigene Gefährte. Die Jüngeren tragen die Lampionbäume, die ebenfalls „weitervererbt“ werden. Das sogenannte „Rasselkommando“, das aus Jungen im Alter von 15 Jahren besteht und das Rasseln von Gründonnerstag bis Karsamstag organisiert, geht in einer extra Abordnung im Umzug mit.
1945 das einzige Mal ausgefallen
Erst ein einziges Mal ist die Osternacht ausgefallen – am 31. März 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Damals hatten amerikanische Soldaten zwei Tage zuvor am Gründonnerstag Hallenberg erobert. Zu dieser Zeit war der Burschenverein von den Nazis verboten und aufgelöst worden. Davor und danach konnte niemand die Hallenberger von ihrem einmaligen Brauch abhalten, obwohl es mehrere Versuche von kirchlicher und behördlicher Seite gegeben haben soll. Auch das Corona-Virus hat es nicht geschafft, in 2020 und 2021 hat der Burschenverein jeweils eine Osternacht mit Abstand organisiert, indem um Mitternacht ohne Umzug vor den eigenen Häusern gerasselt und gehämmert wurde und sich die leuchtenden Kreuze weithin sichtbar auf den Bergen rundherum positioniert hatten. Weil dieser Brauch so einzigartig in Deutschland ist, läuft derzeit ein Antrag mit zwei ausführlichen Gutachten bei der Deutschen UNESCO-Kommission, damit die Osternacht als Immaterielles Kulturerbe anerkannt wird. Als solches Erbe zählen u.a. Bräuche oder auch Handwerke, denen ein besonderer kultureller und historischer Wert zugesprochen wird. Vielen ist vermutlich gar nicht bewusst, dass verschiedene Immaterielle Kulturerbe schon längst auch in der HEIMATLIEBE-Region ausgeübt werden: U.a. gehören das Schützenwesen, das handwerkliche Bierbrauen, das Singen und Musizieren in Vereinen, das Kasperletheater oder Skatspielen dazu. Auch der Osterräder-Lauf im westfälischen Lügde ist bereits anerkannt worden. Eine Entscheidung über die Aufnahme wird voraussichtlich im Frühjahr 2025 fallen. Jetzt haben wir viel über die Osternacht Hallenberg geschrieben. Es lohnt sich wirklich sehr, diese beeindruckende Szenerie live zu sehen und zu hören – das nächste Mal am Karsamstag, 30.März 2024 ab Mitternacht!
Text: Rita Maurer
Fotos: Rita Maurer