Ein Gewässer voller Vögel

Stephan Junge ist so etwas wie ein Citizen Scientists, ein Bürgerwissenschaftler. Als er 15 Jahre alt war, entdeckte er für sich die Ornithologie. Das ist nun ein halbes Jahrhundert her. Und immer noch ist er täglich unterwegs.

Die Ornithologie lebt von der Mitwirkung von Laien und Amateuren. Von Menschen, die sich aus Begeisterung engagieren. So wie Stephan Junge. „Ich habe mit Greifvögeln angefangen, deren Brutverhalten. Dann kamen die Vogelarten, die der Greifvogel schlägt. Und schon ist man bei den Biotopen. Und dann wird es immer mehr, bis hin zu den Insekten“

Wir treffen den Hünsborner am Biggesee. Es fällt leichter Nieselregen. „Bei dem Wetter sind die Vögel nicht so aktiv. Am besten ist es aber sowieso, man geht einfach los, und schaut, was einem so begegnet, was man sieht und hört“, sagt Junge. Was er damit meint: Die Ornithologie bietet zu jeder Jahreszeit und überall etwas.

Der Biggesee, einer der größten Stauseen Deutschlands, ist ein echtes Naturjuwel. Für die Ornithologie interessant sind seine Lage und die räumlichen Bedingungen. Anders als beispielsweise Sorpe- und Möhnesee am Übergang zur Norddeutschen Tiefebene, liegt der Biggesee zentral im Mittelgebirge. Mit dem Vorstaubecken in Olpe und der Listertalsperre gehören zu ihm zwei Gewässer mit immer gleichbleibendem Wasserpegel. Gute Voraussetzungen also für brütende Vögel.

Direkt auf der Höhe des Hallenbades, am Zulauf der Bigge zum Vorstaubecken, entdecken wir zwei Eisvögel. Ein eher seltener Anblick. Die meisten Menschen werden ihn aus der Licher Bier-Werbung kennen. Sein Gefieder ist kobaltblau bis türkisfarben, an der Unterseite orangebraun. Er bevorzugt langsam fließende oder stehende Gewässer, nistet an Steilufern, erbeutet kleine Fische, Kaulquappen und Insekten. Selten ist auch die Wasseramsel. „Weil in den letzten Jahren viele unserer Bäche trockengefallen sind, hat die Population stark abgenommen. Es ist unser einziger Singvogel, der tauchend und schwimmend unter Wasser seine Nahrung sucht“, erklärt Junge.

Die Leidenschaft, zu entdecken und zu schützen
Wir gehen am Biggerandweg bis zur Valentinskapelle, biegen links ab, nehmen die Brücke über die Bahnschienen ins Rosenthal. „Hier in einem Fichtenbestand direkt am Ufer war viele Jahre eine Reiherkolonie. Dann kam der Borkenkäfer“, weiß Junge. Mitten auf dem See gleiten zwei Höckerschwäne majestätisch über das Wasser. Ein idyllisches Bild, das nicht ungetrübt ist. Die Schwäne haben es nicht leicht. Ihre eigenen Verwandten, die Gänse, machen ihnen das Leben schwer, stören bei der Aufzucht der Nachkommen. Kanada- und Nilgans, Graureiher, ein Blesshuhn, Reiher- und Stockenten sehen wir noch an diesem Tag. Haubentaucher oder Zwergtaucher, die auch zu den ständigen Bewohnern des Sees gehören, lassen sich nicht sehen. Aber ein Silberreiher, groß, schlank und mit langen Beinen, ist im Ansitz zu beobachten. „Er ist bei uns ein Durchzügler, eine Brut ist nicht bekannt“, erklärt Junge.

Es ist die Faszination für die Natur, die Junge anspornt. „Die Leidenschaft, zu sehen, was es alles gibt. Und alles zu tun, um sie zu schützen“, erklärt der 65-Jährige. Viele tausend Fotos hat er im Laufe der Jahre aufgenommen, die er so langsam mal archivieren will. Um sie der Nachwelt zu erhalten. Und vielleicht kann er seinen Enkel nachhaltig für die Ornithologie begeistern. Der ist jetzt acht. „In eine paar Jahren vielleicht, dann wird man sehen“, sagt Junge.

Kleiner See, große Wirkung
Seit 1987 wird am Biggesee in den Monaten von September bis April die Wintervogelzählung vorgenommen. Es gibt bis zu 25 Vogelarten, die regelmäßig da sind. Vorkommen und Populationen hängen indes von vielen Umständen ab. Als vor einigen Jahren der Listersee unter der Wasserpest litt, breitete sich das Blesshuhn, das sich von Wasserpflanzen ernährt, aus. Jetzt ist es wieder viel seltener geworden. Neben Vorstaubecken und Lister ist die Gilberginsel bedeutender Rast-, Rückzugs- und Brutraum für Wasservögel wie Kormorane und Graureiher, die hier Kolonien bilden. Ihr Appetit auf Fisch ist ein rotes Tuch für Angler. Ihr Kot für die Marinas ein großes Ärgernis. Und dann ist da noch der Ahauser Stausee. Seit der nicht mehr so hoch gestaut ist, hat er eine große Bedeutung für die Vogelwelt bekommen, ist zum Beispiel wichtiges Überwinterungsgebiet für die nordische Schellente.

Der Mensch hat Verantwortung
Biologische Vielfalt, die gibt es direkt bei uns vor der Haustür. Nicht nur in der Serengeti, im Amazonas oder im Great Barrier Riff. Viele Arten in Flora und Fauna sind noch nicht erforscht und unbekannt. Andererseits ist der Mensch Verursacher des Artenrückgangs und Aussterbens vieler Lebewesen. Auch bei uns am Biggesee – diesem winzigen Teil in einem großen Räderwerk – gibt es viele Unbekannte und viel zu entdecken.

Die Winterzählung der Wasservögel ist eine wichtige Methode, um einen Einblick in die Entwicklung, das Vorkommen und die Häufigkeit der Arten zu bekommen. Ein unentbehrlicher Wissensschatz. Den zu erhalten und zu erweitern, dabei helfen Naturliebhaber wie Stephan Junge.

Birgit Engel [Text und Fotos]
Stephan Junge [Fotos Vögel]

BUCHTIPP
„Naturbeobachtungen rund um Hünsborn – Pflanzen-Vögel-Tagfalter-Libellen“ von Stephan Junge und Stefan Schneider, 2023. Auf über 300 Seiten gibt das Buch Einblicke in die Flora und Fauna rund um die südlichste Ortschaft im Sauerland. Das Buch ist zum Selbstkostenpreis von 20 Euro bei Stephan Junge (stephan.junge@gmx.de) erhältlich.

BUCHTIPP
„Brutvögel im Kreis Olpe“ von Mechthild und Heinz Immekus,
Schriftenreihe des Kreises Olpe Nr. 36, 2012.

DAS IST ORNITHOLOGIE
Die Ornithologie (ornis = Vogel) bedeutet Vogelkunde. Auf der Erde gibt es über zehntausend verschiedene Vogelarten. Vögel sind die artenreichste Klasse der Wirbeltiere. In Deutschland ist die Ornithologie eng mit dem Naturschutz verknüpft. Neben Wissenschaftlern sind es vor allem die Hobbyornithologen, die wesentliche Beiträge zum Verständnis der Biologie einzelner Arten, Artgruppen oder zu Regionalfaunen leisten. Mit dem Online-Portal www.ornitho.de gibt es in Deutschland das größte ehrenamtliche Vogelmonitoring zur Erfassung und Archivierung von Vogelbeobachtungen in Deutschland. Das Portal ist in zehn europäischen Flächenstaaten aktiv.