Obst und Gemüse für Selbstversorger: Zu Besuch in Römershagen

Früher diente der Garten als Nutzgarten zur Selbstversorgung. Mit Kartoffeln und Salat, Obst und Kräutern. Dazu kamen ein paar Tiere, Hühner oder Kaninchen. Mit der Zeit des Wirtschaftswunders wandelte sich die Gartenkultur. Die Menschen genossen den Konsum und nach Feierabend erholte man sich lieber bei Grillwürstchen und unterm Sonnenschirm, statt Erde umzugraben und Unkraut zu jäten. Der Garten wurde mit Terrasse und pflegeleichter Bepflanzung zum Freiluft-Wohnzimmer. Das wichtigste Gerät war der Rasenmäher. Der Rasen ist bis heute obligat. Und ebenso die Terrasse als Rückzugsort und Feierlounge. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Bewusstseins für Natur, Nachhaltigkeit und Umweltschutz hat sich indes der Blick erneut gewandelt: Immer mehr Menschen bauen wieder Gemüse und Obst an.

Hanni Halbe kann sich ein Leben ohne Garten nicht vorstellen. Schon als Kind hat die 86-Jährige ihren Großeltern und Eltern beim Säen, Pflanzen und Ernten geholfen. Auch als sie selbst eine Familie gründete, gehörte ein eigener Bauerngarten zum Leben dazu – bis heute. Mit Ringelblumen und Malven und mit Gemüse wie Rote Beete, Stielmus, Spinat, Porree, Gurken und Zucchini. Was bei Hanni Halbe nicht direkt auf den Tisch kommt, konserviert sie in Form von Marmeladen, Chutney, Saucen und Relishes. Und die sind nicht nur für den Eigenbedarf, sondern auch für den überregional bekannten Jakobimarkt. Sie gehört zu den Damen „Aus Heim und Garten“, die Obst und Gemüse in lauter feine Sachen verwandeln und für den guten Zweck verkaufen. Aber davon spricht sie nicht viel. Sie gehört zu jenen Menschen, die ihr ehrenamtliches Engagement nicht gerne an die große Glocke hängen.

EIN BLÜTENMEER UND EINE REICHE ERNTE
Was aber braucht man für einen bunten Bauerngarten und eine reiche Ernte? „Zunächst einmal müssen der Boden kräftig umgegraben, Steine, Wurzeln und hartnäckiges Unkraut entfernt werden. Dann zieht man im Herbst Rillen, legt Dünger rein und füllt mit Erde wieder auf. Im Frühjahr kann man dann nach dem Auflockern der Erde säen und pflanzen“, erklärt Hanni Halbe. „Früher, als wir noch Landwirtschaft hatten, wurde alle zwei Jahre Mist ins Beet gebracht.“

Heute holt sich Hanni Halbe ihren Dünger bei Ursula Kalinowski-Krumm. Die 66-Jährige hält Hühner, deren Mist besonders nährstoffreich ist. In ihrem Garten wachsen – angelegt direkt neben der Terrasse und umgeben von einem Meer von Stauden – Stangenbohnen, Kartoffeln, Erdbeeren, Johannisbeeren, Kohlrabi, Rhabarber, Liebstöckel, Bärlauch und Knoblauch. „Alles wächst dort, wo es wachsen möchte. Bei mir gibt es keine Wege“, sagt Ursula Kalinowski-Krumm. Ganz anders ist da ihre Schwester Beate Reer (67), die vis-á-vis wohnt und deren Garten rund 1500 Quadratmeter umfasst. Mittendrin liegt ein großes Gemüsebeet, wie mit der Schnur gezogen. Eine reine Geschmackssache. Eines ist allen drei Frauen wichtig: „Bei uns ist alles einhundert Prozent Bio.“ Was sie damit meinen: Zum Einsatz kommt keinerlei Chemie. Alternativen zu Hühnermist gibt es allemal: Pferdeäpfel, Kompost und Hornspäne. Oder auch Brennnesseljauche. Dazu vor der Blüte Brennnesseln im Verhältnis 1:10 mit Wasser übergießen und gären lassen, bis das Gebräu nicht mehr schäumt. Bei warmen Temperaturen dauert das etwa zehn Tage. Gegen den starken Geruch hilft eine dünne Schicht Urgesteinsmehl.

Eine wahre Plage mit großem Appetit im Gemüsegarten: Die Schnecke. Gegen sie ist wortwörtlich kein Kraut gewachsen. Da hilft nur suchen und einsammeln. Schneckenkorn gehört nicht in den Garten. Es ist giftig für die harmlose Weinbergschnecke und andere (Haus-)Tiere und auch Kleinkinder.

GUTE NACHBARN, SCHLECHTE NACHBARN
Tatsache: Auch im Garten gibt es gute und schlechte Nachbarn. Wer Basilikum neben Majoran Minze oder Salbei pflanzt, sollte sich nicht wundern, wenn das nichts wird. Sie harmonieren nicht. Gleiches gilt auch für Gemüsebeete – Radieschen passen nicht zu Gurken oder Zwiebeln, Sellerie nicht zu Paprika oder Kartoffeln – und auch für Mischkulturen. So verträgt sich beispielsweise Petersilie nicht mit Salat. „Viele Informationen findet man im Netz“, sagt Beate Reer. „Grundsätzlich sollte man beim Anlegen von Beeten zwischen Stark- und Schwachzehrern unterscheiden und die Platz- und Standortansprüche beachten.“

WORKOUT FÜR KÖRPER UND SEELE
Hanni Halbe ist sich sicher: Gartenarbeit macht glücklich! „Man ist immer im Freien, hat viel frische Luft und bleibt beweglich.“ Graben, harken, gießen und pflücken sind für sie pures Lebenselixier. Und die Wissenschaft gibt ihr recht. Studien belegen, dass Gärtnern erhebliche positive Effekte auf das Wohlbefinden hat. Der Körper wird trainiert, der Stresslevel sinkt, die Sinne werden beflügelt. Auch der Duft der Pflanzen entfaltet dabei seine Wirkung. „Der Winter ist für uns eine echte Herausforderung“, sagen Ursula Kalinowski-Krumm und Beate Reer. Täglich sehen sich die Geschwister, fachsimpeln über Knollen, Zwiebeln, Säme-reien. Und tauschen auch das eine oder andere. „Viele unserer Pflanzen sind Ableger von Nachbarn. Ein Garten hat auch eine soziale Komponente.“

VOM SPATEN BIS ZUM RÖMERSTAB
Um Obst und Gemüse anzubauen, benötigt man eine Grundausrüstung an Geräten. Dabei sind das gar nicht so viele, wie man meinen könnte, denn eigentlich sind drei Dinge zu erledigen. Der Boden muss tiefgründig bearbeitet, das Unkraut entfernt und die Oberfläche fein zerkrümelt werden. Und dann sind da noch viele hundert andere kleine Handgriffe. „Ein Spaten, eine Spatengabel und eine Harke brauche ich immer“, sagt Hanni Halbe. „Ein Unkrautstecher, eine Schere und eine kleine Pflanzschaufel sollten nicht fehlen“, ergänzt Ursula Kalinowski-Krumm. Dazu kommen Gießkanne, Eimer oder Körbe. Beate Reer hat ein Lieblingsgerät. Es ist selbst erfunden: Ein Besenstil und oben dran ein dünnes Halbrund aus Eisen. „Damit kannst du alles machen. Wir nennen es Römershaken“, sagt Beate Reer.

Text und Fotos: Birgit Engel

Römershagen liegt am südlichen Zipfel der Gemeinde Wenden auf 410 Meter Höhe an der Nordseite der Wasserscheide von Rhein und Ruhr, die einst eine natürliche Grenze zwischen Sachsen und Franken markierte. Hier entspringt die Bigge, der größte Zufluss der Lenne, dem wiederum wichtigsten Zufluss der Ruhr. Der 200-Seelen-Ort hat viel zu erzählen und in seiner langen Vergangenheit metropolitanen Charakter. Wegen der Grenzlage im südlichen Teil des Herzogtums Westfalen war er für den Landesfürsten in Köln bedeutende Zollstation, Sitz eines Freigerichtes, ein bedeutender Wallfahrtsort und lebhafter Marktplatz. Hier kreuzten sich die mitteleuropäischen Fernhandelswege Hileweg und Brüderstraße, letztere Teil im Netz des berühmten Jakobsweges. 1854 endete die große Jahrmarkttradition in Römershagen, die seit 1605 als Jakobimarkt belegt ist. 1996 ließ die örtliche katholische Frauengemeinschaft den Jakobimarkt im Herbst mit großem Erfolg wieder aufleben.