Wie aus dem Sommersitz eines jüdischen Arztes eine der ersten Privatpensionen in Willingen
und schließlich ein Romantik Hotel der Extraklasse wurde
Beginnend mit einer Lebensgeschichte des Architekten Heinrich Vogeler, über den Bau des Haus im Stryck und den Einzug ins Sommerhaus der Familie Löhnberg:
Lebensgeschichte von HEINRICH VOGELER
Als Maler, Illustrator, Kunsthandwerker und Architekt der Deutschen Jugendstilepoche war Heinrich Vogeler weithin bekannt. Ursprünglich entstammte er dem norddeutschen Worpswede, wo sein altes Bauernhaus der sogenannte Barkenhoff steht, welchen er selbst zu einem herrschaftlichen Künstlerhaus umbaute.
Auf einer Studienreise der Deutschen Gartenstadt Gesellschaft nach England lernte er 1909 den begeisterten Kunstsammler Dr. Emil Löhnberg kennen. Die beiden verstanden sich von Beginn an hervorragend, und aus einer kleinen Begegnung wächst eine jahrelange Freundschaft und tiefe Verbundenheit. 1911 bekam Heinrich Vogeler schließlich den Auftrag, einen Sommersitz für seinen guten Freund zu bauen und auszugestalten, welcher 1912 fertiggestellt wurde.
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich der 42-Jährige freiwillig und wurde im Verlauf des
Krieges nach Süd- und Osteuropa entsannt. Nach dem Krieg hatte sich Heinrich Vogeler auf die Seite der Novemberrevolution gestellt. Da die Polizei sein Bauernhaus Barkenhoff in Worpswede systematisch überwachen ließ aufgrund der Befürchtung, Vogeler würde flüchtige Revolutionäre beherbergen, suchte er 1919 Zuflucht im Haus im Stryck.
Sein Versteck im Willinger Stryck wird schnell bekannt und so wurde Heinrich Vogeler mit Hilfe der Waldecker Kreisverwaltung am Morgen des 20. Februars 1919 verhaftet und in der Amtsstube verhört. Nachdem man relativ schnell feststellte, dass von Vogeler keinerlei Gefahr ausging, wurde dieser wieder auf freien Fuß gesetzt.
Für ihn war das Haus im Stryck Zeit seines Lebens ein Rückzugsort. 1920 kam Vogeler zu einem letzten Besuch ins Stryckhaus. Aufgrund einer wachsenden Ehekrise, einer künstlerisch bedingten, depressiven Phase sowie auch der Zugehörigkeit zur niedergeschlagenen Novemberrevolution, zog er sich viele Male ins Haus im Stryck zurück.
Bau des Haus im Stryck
Nachdem Heinrich Vogeler das Privathaus seines guten Freunds Dr. Emil Löhnberg in Hamm umgestaltet hatte, beauftragte er ihn zusätzlich mit dem Bau eines Sommersitz für die Familie Löhnberg. Also fuhren Heinrich Vogeler und Dr. Emil Löhnberg gemeinsam nach Willingen, um einen geeigneten Platz für das Ferienhaus des Doktors zu finden. Nach einem längeren Spaziergang entschied man sich für einen wunderschönen Platz im stillen, idyllischen Strycktal am Südhang des Ettelsbergs. Vogeler schreibt in seinem Tagebuch: „Wir machten mit unseren Freunden aus Hamm eine Fußtour durch das Sauerland, um einen Platz für den Bau eines Sommerhauses zu finden. Betreffs des Hausbaues hatte ich mir ausbedungen: Wenn wir auf den Streiftouren im Gebirge glauben, einen geeigneten Bauplatz gefunden zu haben, so lassen wir uns auf dem Platz nieder, um die Landschaft von Sonnenaufgang bis in die Nacht zu erleben. Auf diese Weise bekommen wir den Eindruck, den wir benötigen, um das Haus so anzulegen, daß die Menschen dort glückliche Ruhestunden erleben können. Schon der zweite Platz überbot alle Erwartungen. Eine halbe Wegstunde vom Ort Villingen am breiten Austritt eines schmalen Bachtals, auf einem ziemlich baumlosen Wiesen- und Heideplatz mit einem kleinen Stauteich für das Mühlengewässer, mit einem Sonnenplatz und dem kühlen Hintergrund eines dunklen, alten Tannenwaldes und seitlich höher gelegener Flanke hochstämmiger Buchen.“
Die Aufrisspläne des Hauses wurden mit vielen liebevollen Details erarbeitet, sodass sich das Haus in die übliche Baustruktur des Uplands sowie die Naturkulisse des Strycks eingliederte. Dies war insbesondere für Heinrich Vogeler von großer Bedeutung. Nach dem Erarbeiten der Baupläne wurde das Haus im Stryck in den Jahren 1911 und 1912 errichtet und fertiggestellt. Das Haus wurde aus Bruchsteinen gemauert und mit original Willinger Schiefer gedeckt. Mit einer Wohnküche, einem großen Gemeinschaftsraum und Schlafzimmern, die nach der Morgensonne ausgerichtet waren, war dieses Haus für die damalige Zeit sehr fortschrittlich erbaut worden. Das Wasser kam vom Bach zu einer hauseigenen Wasserleitung und es gab zudem eine Zentralheizung im Haus. Aufgrund des abschüssigen Geländes entstand eine zweiseitige Steintreppe zur Veranda sowie zum Haupteingang des Hauses. Im vorderen Teil der Unterkellerung war neben einem Heizungs- und Vorratsraum zusätzlich ein Wohnraum für die Sommerzeit. Da sich dieser in den Berg eingliederte, war es dort hervorragend kühl auch in heißen Monaten. Alles in allem sollte die Einzigartigkeit dieses Hauses hervorstechen.
SOMMERSITZ DER FAMILIE LÖHNBERG
Nach der Fertigstellung bezog Dr. Emil Löhnberg gemeinsam mit seiner Frau Selma und den beiden Kindern Erhart und Marianne den Sommersitz im Stryck.
In den Folgejahren war das Haus im Stryck ein beliebter Künstlertreff inmitten der grünen Landschaft. Die Familie Löhnberg beherbergte unentgeltlich diverse Künstler. Diese brachten im Gegenzug Bilder, Kunstgegenstände oder gute Weine als Mitbringsel mit. Auf die Willinger wirkten die Künstler oftmals wie „bunte Vögel“. Sie praktizierten FKK auf den Gartenliegen, verbrachten lange Abende mit Musik und Tanz und führten tiefgründige Gespräche wie aus einer anderen Welt.
Dr. Emil Löhnberg besuchte mit seiner Familie so oft er konnte das Haus im Stryck. Für Marianne waren es die schönsten Kindheitserinnerungen in Willingen.
Neben dem Empfang von Freunden und Bekannten betrieb Dr. Emil Löhnberg, ein Hals-Nasen-Ohrenarzt, auch eine kleine Praxis im Haus im Stryck. Zu seinem Stamm gehörten zahlreiche Patienten aus der Umgebung und sogar der Fürst von Waldeck, welcher den Doktor konsultierte. Dieser kam mit einer großen Kutsche, gezogen von vier prächtigen Pferden, wie Marianne Löhnberg später beeindruckt erzählte.
Im ersten Weltkrieg wurde Emil Löhnberg zum Militärdienst eingezogen. Dort leitete er als Major ein Lazarett in Warschau und in Brest-Litowsk und lernte im Zuge dessen Richard Scheven kennen. Dieser arbeitete zunächst als sein Assistent und übernahm in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg schließlich Dr. Löhnbergs Praxis in Hamm. Während Emil Löhnberg sich im Krieg befand hielt sich Frau Löhnberg mit den Kindern die meiste Zeit im Stryck auf. 1921 wurde dies nach erneuten Zeichnungen von Heinrich Vogeler auf 17 Räume erweitert. Nach dem Krieg kam auch Emil Löhnberg nach Willingen zurück, um dort zu praktizieren. Neben der Arbeit im Stryck fuhr er außerdem einmal die Woche nach Korbach. Nach kurzer Zeit entschloss er sich dazu, erneut eine Praxis in Hamm zu eröffnen, da die Arbeit auf dem Land nicht ausreichend war. Dort hatte die Dichte an
Hals-Nasen-Ohrenärzten zugenommen und zudem wurde auch die antisemitistische Stimmung in ganz Deutschland immer größer. So wurde Löhnberg beispielsweise verwehrt im Krankenhaus zu operieren. Durch diese neuen Umstände war in Planung, außerhalb Hamms eine Privatpraxis zu eröffnen sowie ein dazugehöriges Erholungsheim im Stryck, für das er bereits einen geeigneten Bauplatz gefunden hatte. Diese Planungen wurden niemals in die Tat umgesetzt. Nach einem Treppensturz, verursacht durch zwei Nationalsozialisten, erholte sich Dr. Löhnberg nicht mehr und verstarb kurz darauf am 06. November 1926 in einem Krankenhaus in Hamm. Beigesetzt wurde er in einer Urne im Strycktal nahe eines Bachlaufs. Ein kleiner Gedenkstein mit eingraviertem Namen und Lebensdaten wurde an diese Stelle eingesetzt.
Wie es mit der Geschichte des Stryckhauses weiterging erfahrt ihr in unserer HEIMATLIEBE Frühjahrsausgabe, die am 01. März 2025 erscheinen wird.
Fotos: Privat
Text: Emma Göbel