Alle besseren Geschichten beginnen am Bahnhof, das wusste einst schon Kurt Tucholsky.
Zumindest auf dem Lande hat sich bis in die Gegenwart die Wirkung dieser charakteristischen Gebäude jedoch gänzlich gewandelt. Was einst ein stolzes Aushängeschild war, der erste Eindruck, den eine Stadt dem ankommenden Besucher bieten konnte, verkam spätestens mit dem brandenden Individualverkehr 1970er-Jahre zum Überbleibsel der überholten Vergangenheit. Dabei ist gerade der Bahnhof ein starkes Zeichen der Hoffnung.


Aus Pappe und mit einem Knipser vom Schaffner gelocht.
In Heggen kaufte man die Fahrkarten beim Gasthof
Alfred Rinke unweit vom Bahnhof.
Wir drehen die Uhr zurück und betrachten unsere Region vor rund 150 Jahren.
Das Sauerland war komplett ins Hintertreffen geraten. Die Erfindung der Dampfmaschine
machte Industriestandorte unabhängig von der Wasserkraft, die Kohle des Ruhrgebiets ersetzte energiereich das Feuerholz des Mittelgebirges: In unseren Tälern, die jahrhundertelang mit Hämmern und Schmieden für gutes Auskommen gesorgt hatten, gingen die Lichter aus.
Doch dann keimte mit der Eisenbahn wieder die Hoffnung. Mit einem großen Fest in der komplett beflaggten Stadt Siegen wurde im August 1861 die Ruhr-Sieg-Strecke eröffnet, und viele der letzten Walzwerker aus dem Biggetal zogen umgehend nach Finnentrop, um an diese neue Schlagader der Wirtschaft zu gelangen.
Für die Attendorner hingegen sollten noch elend lange 13 Jahre vergehen, bis auch sie mit dem lebenswichtigen Netz verbunden wurden. Endlich pendelten ab dem 1. April 1874 die Güter- und Personenzüge nach Finnentrop, ab November 1875 sogar bis Olpe. Und so weiter, bis später Freudenberg, aber auch Bergneustadt schließlich Anschluss fanden. Schlagartig ging es damals aufwärts, und das ist die wahre Bedeutung eines Bahnhofs: Ein Denkmal des Aufbruchs in
bessere Zeiten.
Der Alte Attendorner Bahnhof war schlicht gehalten, ein Zweckbau der Kaiserzeit, den sich die „Bergisch-Märkische-Eisenbahn“ errichtet hatte. Die an der zweigleisigen Strecke von Siegen ins Ruhrgebiet waren prachtvoller geraten, wie die frisch sanierten Bahnhöfe von Grevenbrück oder auch Plettenberg, angelehnt an den englischen Tudor-Stil mit charakteristisch flachen Spitzbogenfenstern. Aber auch der Bahnhof in Altenhundem, längst weithin beliebtes Café für den Sonntagsbrunch, hat seinen ganz eigenen Reiz. Und während in Finnentrop, von einer ebenso zahlreichen wie enttäuschten Bürgerschaft bedauert, der einzige D-Zug-Bahnhof Südwestfalens planiert wurde, ist man nun auch in der Kreisstadt auf dem Weg, das unverwechselbare Bahnhofs-gebäude abzureißen. Von ihm wird allenfalls eine Kulisse bleiben.
Man erinnere sich an Toni Teipel, dessen plattdeutsche Ansprachen zur Osterzeit unvergessen sind. Er kam nach dem Krieg mit dem Zug von der Ostsee nach Hause und erblickte zuerst mit Schrecken den ausgebombten Kirchturm – um dann doch erleichtert aus dem Abteil zu steigen, „denn der Bahnhof war wie immer. Jetzt wusste ich, dass ich endlich wieder zu Hause war.“
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Achim Gandras, der vor fünf Jahren im August 2019
im Alter von 51 Jahren verstorben ist, 2013 für die HEIMATLIEBE.)