Animationsfilm gibt Einblick in die Stadtgeschichte
Um Attendorn ranken sich viele Sagen und Mythen. Die Geschichte der Anna Katharina Schnütgen und von dem Stadtbrand im Jahr 1783. Die Erzählung vom Glockenguss.
Die Überlieferungen vom Feldzug der Schützen gegen den Raubritter zu Berlinghausen.
Oder das Schicksal des kleinen Valentin in den Wirren des 30-jährigen Krieges.
Bald können Sie sie erleben! In einem neuen und spannenden Format:
Die InfoTastic Academy in Attendorn hat sie verfilmt.
Max Fleischer wird den meisten kaum ein Begriff sein. Wenn man aber vom Animationsfilm spricht, kommt man um seinen Namen nicht herum. Der Cartoonist und Filmproduzent entwickelte das „Rotoskop“ – patentiert 1917 – und revolutionierte damit die Branche.
Er produzierte als Erster überhaupt Trickfilme, deren Figuren über realistisch aussehende Bewegungen verfügten: Szenen wurden in Echtzeit gefilmt, als Einzelbilder auf eine Glasscheibe projiziert und dann von einem Animator abgezeichnet, so dass die Bewegungen der Schauspieler eingefangen und auf die Figuren appliziert werden konnten. So entstand von Fleischer selbst ein erster Film mit Popeye.
Weitere Beispiele sind Disneys „Schneewittchen“, Hitchcocks „Die Vögel“ oder „Der Herr der Ringe“ und „Krieg der Sterne“. Bis heute ist das Verfahren – wenn auch per Computer – in der Film- und Game-Konsolenbranche präsent.
Das Interessante an dieser Stelle: Aus der Rotoskopie entwickelte sich „Motion Capture“ (MoCap). Dabei werden über eine Vielzahl von Sensoren Körperbewegungen, Mimik und Gestik erfasst. MoCap ist auch in der InfoTastic Academy in Attendorn möglich. Nun entstand damit ein Animationsfilm über die Attendorner Sagen, der nach seiner Premiere im JAC auf YouTube zu sehen ist.
InfoTastic Academy – ein Leuchtturmprojekt
Vor drei Jahren öffnete die InfoTastik Academy in Attendorn, die seither als Leuchtturmprojekt und Erfolgsmodell Schule macht. „Menschen für Technik und Digitalisierung begeistern und ihnen den Nutzen klar machen“, so umschreibt Patrick Schwane, Lehrer für Physik und Informatik an der St. Franziskus-Schule in Olpe sowie Mitbegründer und Vorsitzender der Academy, die Idee dahinter. Fördermittel machten es möglich, dass man sich die MoCap-Technologie anschaffen konnte. „Eine richtig coole Sache. Wenn man sich vorstellt, was ein Animationsfilm früher an Zeichnungen und Berechnungen gekostet hat. Jetzt werden mit Anzug, Handschuhen und einer Gesichtskamera, die die Mimik aufnimmt, alle Daten auf Avatare übersetzt.“


Die krummen Finger des Totengräbers
Im Grunde ist die Funktionsweise also einfach zu verstehen: Wenn ich einen Schritt nach vorne mache, wenn ich einen Finger hebe, wenn ich springe oder schleiche, wenn ich lache, einen Schrei ausstoße oder die Zunge rausstrecke, macht die jeweilige virtuelle Filmfigur, der Avatar, das auch. Die Figuren selbst kommen aus einem Content Store oder werden mit einem Character Creator entworfen: Körpergröße, Kleidung, Haltung, Aussehen, Sprache … bis ins kleinste Detail, bis zur Warze auf der großen gewölbten Nase des Henkers oder den Schwielen an den krummen Fingern des Totengräbers.
Schauspielschule und Filmstudio
Ab den Herbstferien verwandelte sich die Academy in ein Filmstudio. Theaterpädagogin Anja Geuecke begleitete die jungen Schauspielenden und die Autorenschaft im Alter von zwölf bis 16 Jahren inhaltlich. Oleksandr Vasilenko, genannt Oleks, verantwortete die technische Umsetzung, erstellte die mittelalterliche 3D-Kulisse, die Avatare, applizierte die reale Schauspielerei in die virtuelle Welt.
Vor drei Jahren ist Oleks aus der Ukraine nach Attendorn gekommen. Er ist Lehrer und Musiker, respektive Komponist, hat als solcher schon für Hollywood-Produktionen gearbeitet und engagiert sich ehrenamtlich in der Academy.
Bevor die jungen Darstellenden ihre Rollen übernehmen konnten, um sich später in einer virtuellen Welt im Mittelalter wiederzufinden, mussten Drehbücher geschrieben und Dialoge verfasst werden. „Die Sagen haben wir in ihrer Sprache verheutigt und auch inhaltlich geglättet, so dass sie in die Gegenwart passen“, erklärt Anja Geuecke. Zudem gab es vorab mit Anja Schauspielunterricht, um die einzelnen Sagencharaktere und deren Lebenswelt zu verstehen, um sich mit ihnen zu verbinden. Da ging es um Beweglichkeit und Körpergefühl, Motivation und Reaktion, Fantasie und Emotion.
Mittelalterlichen Figuren ein Leben geben
Mit dabei sind Hani, Rahmatullah, Fithawi, Yunus, Melcho und Mohammed. Die Teenager sind öfter in der Academy, mögen die Atmosphäre, die Möglichkeiten, in andere und in digitale Welten einzutauchen. „Das hier ist so etwas wie ein Ankerplatz und auch ein Ruhepol“, erklärt Fithawi. Er spielt unter anderem einen Pastor. Hani und Ramatullah verkörpern einen Totengräber und einen Raubritter, Mohammed dessen Sohn, Melcho einen Schmied und Yunus den Lehrling des Glockengießers. Und dann gibt es auch noch den Henker und den Pestdoktor. Meistens Berufe und Stände, die ihnen unbekannt waren.
„Das Leben im mittelalterlichen Attendorn ist echt spannend und interessant. Und nicht so hektisch wie heute. Aber auch mit vielen gruseligen Menschen“, finden sie.
Anders ist es bei Finja und Charlotte. Die beiden Zwölfjährigen kannten sich schon ein bisschen in der Sagenwelt ihrer Heimat aus. Mit moderner Technik den Figuren der alten Sagen Leben einhauchen zu können, ist nicht nur beeindruckend, sondern macht auch Spaß. Emma und Judith schauspielern in ihrer Freizeit, Theater ist eines ihrer Hobbies. Was die Dreizehnjährigen mitnehmen: „Dialoge zu schreiben, ist gar nicht so einfach. Man muss viele gute Ideen haben.“
„Die Projektgruppe ist sehr bunt“, sagt Patrick Schwane. „Spannend, wie sich die Jugendlichen mit den verschiedenen Kulturen auseinandersetzen und sich aufeinander einlassen. Der Reiz an diesem Projekt liegt auch darin, dass die Jugendlichen ohne Kostüme in jede wirklich beliebige Rolle schlüpfen und sich auf der Leinwand in einer virtuellen Welt wiederfinden. Das motiviert zu eigener Kreativität.“
Text: Birgit Engel, Fotos: Birgit Engel, InfoTastic Academy Attendorn
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