Im beschaulichen Drolshagener Land sind viele Straßen von jahrhundertealten Gebäuden gesäumt – die Historie des Sauerlands ist hier an jeder Ecke spürbar. Und doch stechen manche Fachwerkhäuser besonders hervor, deren hölzerne Balken und weiße Wände Geschichten aus einer anderen Zeit erzählen. Dazu gehört auch das mehr als 300 Jahre alte Haus der Familie Ochel in Husten, das Manfred Sawatzki in jahrelanger Kleinarbeit und mit großer Leidenschaft vom Boden bis zum Giebel restauriert hat.
„Das ist definitiv mein Lebenswerk“, sagt Manfred Sawatzki schmunzelnd. Anfang der 1980er Jahre lebte der Fliesenlegermeister gemeinsam mit seiner Frau in Köln. „Als das erste Kind kam, haben wir uns dazu entschlossen, zurück ins Sauerland zu ziehen“, berichtet der gebürtige Wendener. Das Paar wohnte zunächst bei Manfred Sawatzkis Familie im Wendschen. „Von dort aus habe ich damit begonnen, das Elternhaus meiner Frau in Husten zu renovieren. Das Gebäude hat zum damaligen Zeitpunkt ein ganzes Jahrzehntlang überwiegend leer gestanden. Dementsprechend schlecht war es um die Bausubstanz bestellt“, erinnert sich der zweifache Familienvater. Bei der Restauration des mehrere Jahrhunderte alten Fachwerkhauses ließ er deshalb keinen Stein auf dem anderen: „Ich habe den gesamten Bau vom Erdgeschoss bis zum Giebel freigelegt. Manch einer hat sich damals ganz sicher gefragt, warum ich das Haus nicht einfach abgerissen und ein neues gebaut habe“, erinnert sich der Bauherr augenzwinkernd.
Viele Handwerker hätten seinerzeit abgewinkt, als er Aufträge an sie habe vergeben wollen – zu aufwändig, habe es unter anderem geheißen. So habe er das Großprojekt schließlich gemeinsam mit Familie und Freunden in Angriff genommen. „Glücklicherweise ist mein Bruder Maurer und mein Onkel Zimmermannmeister – beide haben mich tatkräftig unterstützt. Das meiste habe ich mir allerdings nach und nach selbst angeeignet. Ein Handwerker muss schließlich alles können!“, sagt Sawatzki, der so im Laufe der Jahre zu einem regelrechten Experten für alte Bauweisen geworden ist.
NEU UND ALT VERTRAGEN SICH NICHT
Nachdem Manfred Sawatzki das Haus komplett entkernt hatte, macht er sich an die aufwändige Restauration, die Jahre dauern sollte. Dabei wurden zunächst wurmstichige Balken durch neues Holz ersetzt, bevor der Handwerksmeister neue Lehmdecken einzog. „Neue Baumaterialien vertragen sich nicht gut mit alten. Ich habe deshalb bewusst auf Naturbaustoffe wie Lehm und Stroh gesetzt. Die Menschen damals wussten schon ganz genau, was sie taten. So ist es etwa durch die natürliche Dämmung im Haus auch im Sommer herrlich kühl – und zwar ganz ohne Klimaanlage“, erklärt der Fachmann. Nachdem das Gröbste getan war, zog Manfred Sawatzki schließlich 1986 mit seiner Frau und den beiden Kindern in Husten ein. Von dort aus ging die Arbeit dann nahtlos weiter: In den folgenden Jahren renovierte der passionierte Bauherr die restlichen Räume des großen Wohnhauses und auch den alten Stall, der so in den 1990er Jahren zur Garage und zum Lager für den Handwerksbetrieb des Fliesenlegermeisters wurde.
Eine besonders spannende Phase erreichte das Projekt, als der Bauherr 1990 den großen Fachwerkgiebel freilegte. Dieser war nach dem Ersten Weltkrieg mit Holz, Lehm und Kalkputz verkleidet worden, um sich das aufwändige Streichen der Balken und Lehmgefache zu ersparen.
JAHRHUNDERTE ALTE INSCHRIFTEN
„Ich hatte das alte Fachwerk jahrelang von innen gesehen, wenn ich auf dem Dachboden war. Und ich habe immer gedacht: Mensch, das musst du irgendwann mal in Angriff nehmen!“, erinnert sich der Hausherr. Gesagt, getan. Als die Verkleidung schließlich runter war, zeigte sich schon auf den ersten Blick, dass das Fachwerk ziemlich gut erhalten war. Gleichzeitig förderte die Aktion aber noch etwas anderes zutage: nämlich mehrere Inschriften, die vor Jahrhunderten in die uralten Balken geritzt worden waren. „Wenn dieses Haus so lange steht, bis Hass und Neid vergeht, wird dieses Haus so lange stehen, bis dass die Welt zugrund‘ wird gehen“, stand dort unter anderem geschrieben. Zudem entdeckte Manfred Sawatzki die Jahreszahl 1747. „Damit war klar, dass unser Haus zu den ältesten Gebäuden des Ortes zählt!“
MIT LEIDENSCHAFT UND HERZBLUT
„In Husten sind viele der alten, strohbedeckten Häuser einem Großbrand im Jahr 1928 zum Opfer gefallen“, weiß Heinz Stachelscheid, designierter Ortsheimatpfleger für Drolshagen. Aus historischen Unterlagen geht hervor, dass allein in den Jahren 1914 bis 1931 in Husten 13 Häuser Bränden zum Opfer gefallen sind.
Von 1927 bis 1931 gingen sieben Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft des Hauses der Familie Ochel/Sawatzki in Flammen auf. Dass das Haus die Feuer unbeschadet überstanden habe, sei ein Glücksfall – ebenso wie die ambitionierten Anstrengungen von Manfred Sawatzki, das historische Kulturgut zu restaurieren und zu erhalten, befindet Heinz Stachelscheid.
So hat der Handwerksmeister etwa 2023 in mühseliger Kleinarbeit die alten Inschriften auf den Balken im Giebel restauriert. Zusätzlich brachte er selbst noch die Namen der Familien in die Balken ein, die im Laufe der Jahrhunderte in seinem Haus gelebt hatten. Aber damit nicht genug: Aus dem Abruchholz der Dachstuhlrenovierung und des Scheunenumbaus baute Manfred Sawatzki im Jahr 2020 eine Miniaturausgabe seines Fachwerkhauses. Dieses Unikat, das hinter dem Haupthaus steht, dient der Familie nun als Garten- und Grillhütte. „Es ist absolut bemerkenswert und großartig, was Manfred Sawatzki hier geleistet hat. So ein Projekt, das funktioniert nur mit Leidenschaft und Herzblut“, betont Heinz Stachelscheid. Das Haus sei ein wahres Aushängeschild für die Region. „Eines zeigt dieses Lebenswerk ganz deutlich: Das Drolshagener Land braucht sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen!“, fügt der passionierte Heimatkundler hinzu
Text und Fotos: Silke Clemens, Historische Fotos: privat