DAS WIEGENFEST IN ZÜSCHEN
WARUM DIE GLORREICHEN EINE GANZ EIGENE DEFINITION DAFÜR HABEN.

Wie·gen·fest, das
/ˈviːɡn̩ fɛst,Wiégenfest/
Substantiv, Neutrum
Gehoben für Geburtstag, Ehrentag.
So definiert der Duden den Begriff „Wiegenfest“. Damit sind vermutlich fast alle HEIMATLIEBE-Leserinnen und -Leser einverstanden. Fast. Denn einige Züscher haben eine ganz eigene Definition von Wiegenfest – und eine sehr schöne noch dazu.
Doch wir machen es ein bisschen spannend und fangen ganz von vorne an: Mitte der 80er Jahre fanden sich einige 14- und 15-jährige Jugendliche aus dem Ort zusammen und gründeten „Die Glorreichen“, um sich zu treffen, gemeinsam zu feiern und vermutlich auch die ersten Bekanntschaften mit mehr oder weniger hochgeistigen Getränken zu machen. Aber die Mädchen und Jungen hatten nicht nur Feten im Sinn, sondern engagierten sich auch fürs Dorf – u.a. beim Tanz in den Mai, Bau von Karnevalswagen oder einer legendären Birnbaum-Pflanzaktion.
Die Jahre vergingen, die Schulzeit endete, Ausbildungen oder Studium standen an. Die Glorreichen wurden älter und erwachsener, der Zusammenhalt blieb. Partnerinnen und Partner kamen ins Spiel, wurden herzlich in die Runde aufgenommen (man munkelt von speziellen Aufnahmeritualen auf Männerseite), später die ersten Polterabende und Hochzeiten gefeiert. Im Herbst 1992 kündigte sich beim ersten Paar ein Kind an. „Es wäre doch schön, wenn wir für unser erstes glorreiches Baby eine eigene Wiege hätten“, kam die Überlegung auf. Und da in der Runde auch Handwerker dabei waren, wurde aus der Überlegung Realität: Eine wunderschöne Wiege aus hellem Holz mit Rollen, Schaukelfunktion und einem Himmel war nach vielen Stunden Arbeit und wurde den frischgebackenen Eltern feierlich überreicht. Im Sommer 1993 schlief das erste Neugeborene darin, im folgenden Jahr gab es schon die nächsten beiden Geburten.
31 KINDER UND VIER ENKEL
Jedes Elternpaar der Glorreichen bekam die Wiege persönlich vorbeigebracht – ob es nun Züschen, Hallenberg oder Westfeld war oder der Weg bis nach Erfurt, München oder sogar nach Österreich führte. Die Übergaben wurden stets mit einem kleinen Wiegenfest zelebriert. Manchmal wurden Kinder ziemlich knapp hintereinander geboren. Doch es klappte immer, dass die jungen Eltern sich einig wurden und alle Sprösslinge zumindest für ein paar Wochen in den Genuss kamen, in der Wiege zu liegen, bevor sie weitergegeben wurde. Für jedes Kind wird ein kleines Messingschild mit Namen und Geburtsdatum an die Seitenwand geschraubt. 31 Schildchen sind es im Laufe der Jahre geworden. Und damit endet die Tradition des Wiegenfestes nicht, denn mittlerweile haben sogar schon vier Enkel in der Wiege gelegen.

ZUSAMMENHALT UND FREUNDSCHAFT SEIT 40 JAHREN
Die jugendlichen Glorreichen von einst haben in den vergangenen 40 Jahren alle ihren Weg gemacht, unterschiedliche Lebenswege, Berufe und Orte gewählt. Durch die teils weiten Entfernungen sind regelmäßige Treffen nicht ganz einfach, doch Züschen ist für alle die gemeinsame Basis mit der Wiege als Symbol geblieben. Wenn jemand von den Auswärtigen zu Besuch in der alten Heimat ist, reicht ein Anruf: „Ist einer da?“ Und es findet sich garantiert immer jemand. Karneval, Osterfeuer, Schützenfeste, runde Geburtstage oder Silberhochzeiten werden zusammen gefeiert, einige der Glorreichen sind gegenseitig Trauzeugen und Paten.
2023 wurde zum 30. Geburtstag des ersten Babys ein richtig großes Wiegenfest an der Skihütte veranstaltet, zu der es tatsächlich alle Glorreichen mit ihren Familien schafften. Unter den Kindern sind mittlerweile auch schon Freundschaften entstanden. Alle sind sich einig: „Es ist ein gutes Gefühl, wenn man in der immer schneller werdenden Welt solch alte Verbindungen hat und Werte wie Zusammenhalt und Freundschaft so hochgehalten werden. Unser Wiegenfest ist eine echte Herzensgeschichte – schön, dass sie von allen und auch den Kindern wertgeschätzt wird.“
Text: Rita Maurer Foto: Rita Maurer