Als Flintenweiber belächelt, als WM- und Olympiasiegerinnen gefeiert

Trainerin Renate Schinze und ihre Biathletinnen Petra Behle, Inga Schneider und Martina Göbel eroberten eine Männerdomäne

Es war die Idee einer Lehrerin aus Willingen, die neue Maßstäbe setzen wollte. Biathlon – nur ein Sport für Männer? Für sie nicht, und so schaute sie eines Tages beim Langlauftraining des Skiclubs Willingen vorbei, um ihre Idee des Biathlonsports für Frauen auf den Weg zu bringen. Die Jugendlichen staunten nicht schlecht, aber ließen sich von der Begeisterung von Renate Schinze anstecken. Und so waren es Martina Göbel, Inga Schneider und Petra Behle, die in den 80-er Jahren Geschichte schrieben – als Flintenweiber zunächst belächelt, aber schließlich auf den Siegerpodesten bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen frenetisch gefeiert. Im Gespräch mit der HEIMATLIEBE haben die Weltklassesportlerinnen die damalige Zeit Revue passieren lassen.
Im Café Aufwind liegen die Fotoalben auf dem Tisch, dazu Kaffee und Kuchen, und dann geht die Reise in die Vergangenheit auch schon los. Inga Schneider und Martina Göbel blicken gerne auf diese außergewöhnliche Zeit zurück, von der sie nur zu gerne berichten. Sie haben sich damals auf den Weg gemacht, um eine Sportart auszuüben, in der bisher in Deutschland nur Männer unterwegs waren. Und das sehr erfolgreich. Heute kann man sagen, dass der deutsche Biathlonsport für Frauen seinen Ursprung in Willingen hatte. Was heute üblich ist, war damals umstritten. Frauen an der Waffe, das konnte sich niemand vorstellen. Aber es kam anders, denn die Sportlerinnen lernten schnell und zeigten, dass sie sehr wohl mit dem Gewehr umgehen konnten.

Umgang mit dem Sportgewehr in Ruhpolding gelernt
„Am Anfang gab es ein Lehrgang in Ruhpolding, wo uns richtig gezeigt wurde, wie man schießt, und dann haben wir hier oben weitergemacht. Das war 1986“, erzählt Martina Göbel, die als einzige schon ein wenig Vorerfahrung hatte, weil sie Mitglied des Schützenvereins war und deshalb mit einem Sportgewehr umgehen konnte. Zudem hatte sie gelegentlich beim Biathlon-Training der Jungen mitgemacht. Nach dem Lehrgang waren alle Feuer und Flamme. „Im Laufe der Zeit wurden wir immer mehr akzeptiert, weil man einfach gesehen hat, dass wir genauso hart trainieren“, so Inga Schneider. Dennoch sei es am Anfang so gewesen, dass die Weltmeisterschaften der Damen zusammen mit den Junioren-Meisterschaften stattgefunden haben und nicht gleichzeitig mit der WM der Männer.

Erste Wettkämpfe im Jahr 1987
Anfangs haben die Athletinnen Langlauf und Biathlon parallel ausgeübt. „Aber dann haben wir gemerkt, dass das viel mehr Spaß macht“, erinnert sie sich, dass die Entscheidung, ausschließlich Biathlon als Wettkampfsport auszuüben, schnell gefallen war. 1987 starteten die Willingerinnen ihre ersten Wettkämpfe, zunächst auf nationaler und dann auf internationaler Ebene. Weltweit gab es zu dieser Zeit 40 Biathletinnen, in Deutschland waren es maximal fünf Frauen, die im Geschehen mitmischten. Neben den Frauen aus Willingen war eine Gruppe um Uschi Disl in Bayern und Dorina Pieper aus Lüdenscheid beim Biathlon gelandet.

WM-Titel und olympische Goldmedaillen
Petra Behle, geb. Schaaf, holte Olympia-Gold- und zwei Mal Silber mit der deutschen Staffel bei Olympischen Spielen. Zudem war sie neun Mal Weltmeisterin. Martina Göbel, geb. Stede, ist zweifache Weltcup-Siegerin sowie Junioren-Weltmeisterin in der Staffel, und Inga Schneider, geb. Kesper, schaffte 1992 den Sprung zu den Olympischen Spielen in Albertville und holte im selben Jahr in Nowosibirsk Gold mit der Mannschaft. Ihre sportliche Biathlon-Karriere beendete Martina Göbel im Jahr 1992, Inga Kesper zwei Jahre später. Petra Behle bestritt ihr letztes Biathlon-Rennen im Jahr 1998. Sie war die erfolgreichste WM-Teilnehmerin aller Zeiten, bis sie am 12. März 2011 von Magdalena Neuner abgelöst wurde.

Keine Sponsoren und keine Superstars
Die aktiven Jahre waren für alle drei sehr trainingsintensiv. Bis zu zehn Mal Training in der Woche standen vor allem vor den Wettkämpfen auf dem Programm. „Im April hatten wir immer Pause“, so Inga Schneider, die heute als Grundschullehrerin arbeitet. Die Frauen sind sich einig: Sie haben genau zum richtigen Zeitpunkt mit dem Leistungssport aufgehört und sich dann nach dem Abitur um ihre berufliche Ausbildung gekümmert. Es sei damals alles anders gewesen als heute, es habe kaum Sponsoren gegeben und die Sportlerinnen „seien auch im Gegensatz zu heute keine Superstars gewesen“, so die 56-Jährige.

Ehrenmitgliedschaft im Skiclub Willingen
Alle drei Athletinnen und auch ihre Trainerin Renate Schinze sind heute Ehrenmitglieder im Skiclub Willingen. Und sie sind stolz auf sich: Auf ihre sportlichen Erfolge, ihre harte Arbeit für beste Platzierungen und Medaillen und vor allem auch darauf, dass sie Vorreiterinnen in einer Sportart waren, die vorher eine reine Männerdomäne war. „Wer weiß, wie es aussehe, wenn wir es nicht gemacht hätten. Dann hätte es vielleicht noch ein bisschen gedauert“, sagt Martina Göbel, die wie ihre Mitstreiterinnen sehr dankbar für diese Erlebnisse und Erfahrungen ist. Wie Inga Schneider agierte sie nach der aktiven Zeit temporär als Trainerin im Jugendbereich des Skiclubs. Heute ist die 53-Jährige bei der Gemeinde Willingen beschäftigt. Petra Behle arbeitet heute bei einer Sport-Marketingagentur. Von 1998 bis 2007 war sie Biathlonexpertin beim ZDF.

Fotos: Privat, Petra Behle, Inga Schneider, Martina Göbel, Renate Schinze
Text: Carmen Ahlers